Weide – Salix L.
Weidengewächse (Salicaceae)
Die Gattung Salix L. (Weide) ist mit ungefähr 500 Arten von der Arktis über die gemäßigten Zonen bis in die Tropen vertreten und siedelt von der Meeresküste bis in alpine Gebiete. Ungefähr 35 Arten sind in Mitteleuropa heimisch, vertragen dauernassen Grund und sind deshalb oft Bestand von Ufergebüsch und Auwäldern. Einige Weiden werden als „Kopfweiden“ alle zwei bis drei Jahre beschnitten; aus den Ästen werden dann Körbe geflochten. Arzneilich genutzt werden mehrere Salicylat-reiche Arten, in erster Linie die Purpur-Weide (Salix purpurea L.), die Reif-Weide (Salix daphnoides Vill.) und die Bruch-Weide (Salix fragilis L.). Auch andere Weidenarten können als Stammpflanze dienen, wenn ihre Rinde den qualitativen Anforderungen in Bezug auf die Inhaltsstoffe (Salicylate) genügt. In Frage kommen dafür die Lorbeer-Weide (S. pentandra L.), die Kraut-Weide (S. herbacea L.) und die Stumpfblättrige Weide (S. retusa L.).
Weiden sind 6 bis 10 m hohe Bäume oder Sträucher mit schraubig angeordneten, manchmal silbrigen, länglichen Blättern, die meist auf der Unterseite behaart sind und beim Trocknen häufig schwarz werden. Weiden sind zweihäusig, d.h. dass männliche und weibliche Blüten auf verschiedenen Bäumen wachsen. Sie blühen im Frühjahr meist vor dem Blattaustrieb. Die Blüten sind zu kätzchenförmigen Blütenständen vereinigt, die oft schon am Palmsonntag (dem Sonntag vor Ostern) blühen, weswegen man sie im Volksmund auch „Palmkätzchen“ nennt. Die weiblichen Kätzchen sind grünlich, die männlichen Kätzchen haben weit herausragende gelbe Staubblätter. Der Nektar blühender Weiden ist im Frühjahr die erste Bienennahrung.
Verwendet wird die getrocknete Rinde junger Zweige im 2. oder 3. Jahr und junge Zweige im 1. Jahr (Salicis cortex). Die Droge des Handels stammt vorwiegend aus Bulgarien, Ungarn und Rumänien.
Weidenrinde enthält Salicylalkohol-Derivate (Salicylate), Kaffeesäure-Derivate und Flavonoide.
Die Qualität folgender Drogen bzw. Drogenzubereitungen ist im Europäischen Arzneibuch (Ph. Eur.) festgelegt:
Das HMPC hat quantifizierte Weidenrindentrockenextrakte (DEV 8-14:1, Auszugsmittel Ethanol 70 %, 15 % Gesamtsalicylderivate) für die kurzzeitige Behandlung leichter Rückenschmerzen als „medizinisch anerkannt“ („well-established use“) akzeptiert; siehe auch „Traditionelle Anwendung“.
ESCOP: bei leichten Rückenschmerzen und bei leichten rheumatischen Beschwerden; außerdem bei fiebrigen Erkältungen und Kopfschmerzen.
Kommission E: bei fieberhaften Erkrankungen, rheumatischen Beschwerden und Kopfschmerzen
Die Überlegung, Weidenrindenextrakte wie Aspirin zur Agglutinationshemmung der Blutplättchen (im Volksmund: Blutverdünnung) einzusetzen, liegt nahe, da die Salicylate der Weidenrinde der Acetylsalicylsäure (ASS) chemisch ähnlich sind. Ihnen fehlt aber die Acetylgruppe, die für die Hemmung der Thromboxan B2-Synthese und damit für die Agglutinationshemmung verantwortlich ist. Insofern stellen Weidenrindenextrakte keine natürliche Alternative zur Gabe von ASS dar, auch wenn in klinischen Studien bei hoher Dosierung ein „blut-verdünnender“ und damit ein kardioprotektiver Effekt gemessen wurde. Der Effekt von ASS war deutlicher ausgeprägt.
Nicht quantifizierte Weidenrindenzubereitungen (Trockenextrakt, Flüssigextrakt, Tinktur) auch Weidenrindenpulver und geschnittene Weidenrinde, wurden vom HMPC für nachfolgende Anwendungsgebiete als traditionelle pflanzliche Arzneimittel (§ 39a AMG) eingestuft. Basierend auf langjähriger Erfahrung können nicht quantifizierte Weidenrindenzubereitungen bei leichten Gelenkschmerzen, bei Fieber im Zusammenhang mit Erkältungen und bei Kopfschmerzen eingesetzt werden.
Fertigarzneimittel: Um die Wirkung zu gewährleisten, ist es sinnvoll, Weidenrinde in Form von Fertigarzneimittel mit einem definierten Wirkstoffgehalt (quantifizierter Extrakt) einzunehmen; die Dosierung ist der Packungsbeilage zu entnehmen. Die empfohlene Tagesdosis in Bezug auf die Salicylderivate (Salicylate) liegt bei 120 bis 240 mg.
Teeaufguss: 3- bis 4-mal täglich eine Tasse Weidenrindentee (Rheumatee) trinken; mittlere Tagesdosis bei Erwachsenen 4 bis 12 g Droge.
2 bis 3 g fein geschnittene oder grob pulverisierte Weidenrinde werden mit 150 mL kaltem Wasser versetzt, der Ansatz zum Kochen gebracht, vom Herd genommen und nach 10 Min. abgeseiht.
Bei Überempfindlichkeit gegenüber Salicylaten (z.B. Aspirin) und anderen Antirheumatika sowie bei Neigung zu Allergien soll Weidenrinde nicht eingenommen werden. Bei Patienten mit Asthma, Magen-Darmgeschwüren und eingeschränkter Nieren- oder Leberfunktion nur nach Rücksprache mit dem Arzt.
Von einer Anwendung von Weidenrinde während der Schwangerschaft und Stillzeit ist abzuraten, da Salicylate die Plazenta durchdringen und in der Milch erscheinen. Für eine Anwendung bei Kindern und Jugendlichen reichen die Erkenntnisse noch nicht aus.
Bei Einnahme von Weidenrinde kommt es gelegentlich zu Magenbeschwerden. Auch können Überempfindlichkeitsreaktionen der Haut auftreten (selten).
Die Wirkung gerinnungshemmender Arzneimittel kann verstärkt, die Wirkung von Arzneimitteln zur Steigerung der Harnsäureausscheidung vermindert sein.
HMPC, ESCOP, Kommission E, WHO Vol. 4
Wichtl: Teedrogen und Phytopharmaka
Schilcher: Leitfaden Phytotherapie
Van Wyk: Handbuch der Arzneipflanzen
Kommentar zum Europäischen Arzneibuch (Weidenrinde, Nr. 1583; Weidenrindentrockenextrakt, Nr. 2312)